Netzwerk Geschlecht und Strafjustiz
Das wissenschaftliche Netzwerk "Geschlecht und Strafjustiz" vereint interdisziplinär arbeitende Wissenschaftler*innen mit dem Ziel, aktuelle geschlechter- und queertheoretische Ansätze in der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung zur Strafjustiz systematisch weiterzuentwickeln und damit Anstoß und Infrastruktur für eine fokussierte Auseinandersetzung mit den Kategorien Geschlecht und Sexualität in der deutschsprachigen kriminologischen Forschung bereit zu stellen.
Die Gründererinnen Jun.-Prof. Dr. Dörte Negnal (Fak. II), Jun.-Prof. Dr. Anika Gomille (Fak II), M. A. Doreen Muhl (Fak II) und Prof. Dr. Friederike Faust (Uni Göttingen) teilen aufgrund ihrer bisherigen zu kriminologischer Theorie und Empirie die Annahme, dass in der deutschsprachigen Kriminologie seit Beginn der 1990er Jahre geschlechtertheoretische Perspektivierungen von Strafjustiz weitestgehend stagnieren und damit der Anschluss an die entsprechenden internationelen Debatten verloren ging. Während deutschsprachige kriminologische Forschung einen geschlechtersensiblen Ansatz verfolgt, fanden die geschlechtertheoretischen Auseinandersetzungen zur Strafjustiz vorrangig in anderen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Öffentlichkeiten statt. Wir sehen diesbezüglich das Potential für eine international anschlussfähige und den Herausforderungen der Gegenwart gewachsene Kriminologie in Deutschland in einem Brückenschlag zwischen den beiden Ansätzen und ihrer dialogischen Weiterentwicklung. Denn eine Kriminologie, die geschlechtertheoretisch argumentieren kann, ist erstens für adäquate Gegenstandsbestimmungen eines interdisziplinären Faches elementar, schließlich ist Geschlecht selbst zentral in diese eingebunden; zweitens liefert sie das Analyseinstrumentarium, um aktuelle, gesellschaftlichpolarisierende um Geschlecht und Strafjustiz machtkritisch einzuordnen und kriminologische Beiträge zu leisten.
Mit der Strafjustiz fokussieren wir Kernbereiche der kriminologischen Forschung von hoher geschlechtlicher Relevanz. Strafjustiz, verstanden als Institutionen und Prozesse der staatlichen Normdurchsetzung, ist von gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht durchdrungen und wirkt zugleich auf diese zurück. Aktuelle Debatten um Geschlecht und Strafjustiz , z. B. Fragen zur geschlechtlichen und sexuellen Selbstbestimmung, zum Umgang mit Transgender in Haft, dem strafrechtlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt oder zu postkategorialem Recht sind Ausdruck dieser Verwicklungen, die einer intrnational anschlussfähigen Theorisierung bedürfen.
Vor dem Hintergrund, dass marginalisierte Gruppen immer noch überproportional mit strafjustiziellen Instanzen konfrontiert sin, erachten wir eine intersektional-geschlechterkritische Auseinandersetzung in diesem Bereich kriminologischer Forschung als grundlegend. Der Fokus auf Strafjustiz fungiert in diesem Sinne als Seismograph, um Macht- und Herrschaftsdynamiken staatlicher Normdurchsetzungsprozesse besser verstehbar werden zu lassen und ihr Auswirkungen auf mehrfachbenachteiligte Personengruppen erfassen zu können. Damit schließen wir an die in den 1970/80er Jahre angestoßenen geschlechtertheoretischen Auseinandersetzungen an und diskutieren ihre Weiterentwicklung im Lichte internationaler gender- und qeertheoretischer Analysen und mit Blick auf die aktuelle deutschsprachige Forschungslandschaft, die sich vornehmlich in Forschungsfeldern des Strafvollzugs ereignet. Dies erfordert einen mehrjährigen, strukturierten interdisziplinären Arbeitsaustausch zwischen geschlechtersensibler und -theoretisch orientierten Perspektiven sowie mit jenen der anglophonen gender- und queertheoretischen Kriminologie. diesen wird das Netzwerk im Rahmengemeinsamer Werkstätten, Publikationen, Tagungen und weiterführenden Konzeptionen für Forschungsprojekte anregen.